Erkenntnis

meine erste Kurzgeschichte, die von einem Verlag angenommen wurde, ein besonderer Meilenstein in meinem Autorenleben. Ihr findet sie in meiner Anthologie: Ohne Vorwarnung - mitten ins Leben

 

Los geht's: Biberbettwäsche. Bei 33 Grad im Schatten. Kein Wunder, dass ich in den letzten Nächten noch schlechter als sonst geschlafen habe. Ich muss wohl mein Bett beziehen und humpele zum Schrank.

Die hintere Ecke meines Schlafsofas ist für mich schwer zu erreichen, ohne dass ich mein schmerzendes Bein zu oft bewegen muss, und ich stopfe das Laken nur unzureichend in die Ritze. Meine Mutter würde das besser machen, denke ich und ruhe mich einen Moment aus. Den Duft frisch gewaschener Bettwäsche habe ich sonst immer gerne gerochen, nun verursacht er mir Unbehagen, erinnert mich an Krankenhaus.

 Staubpünktchen tanzen in den Sonnenstrahlen und ich betrachte die Spuren getrockneter Regentropfen, die vor Wochen graue Rinnsale auf die Scheibe gezeichnet haben.

 Meine Mutter hätte sie längst weggeputzt.

 

Nach dem Essen werde ich mich auf den Weg machen. Mich in die stickige Bahn setzen. Ich seufze. Es ist schon komisch, jetzt, wo ich es nicht mehr kann, würde ich gerne mit dem Rad fahren.

Wie oft hatte Mutter mich gebeten, das Fahrrad zu nehmen. Unser letzter Streit ist in meinem Kopf fest verankert: „Ich stehe doch nicht Ewigkeiten im Bad, um mir die Haare zu glätten und dann bringt der Wind alles wieder durcheinander“, ätzte ich auf ihre Bitte.

Mutter sah nicht auf, bügelte weiter und entgegnete: „Du wirst heute auf jeden Fall mit dem Fahrrad fahren oder die ganzen zehn Minuten zu Fuß gehen, junges Fräulein.“

Junges Fräulein - allein das brachte mich auf die Palme. Ich giftete zurück: „Ich fahre jeden Morgen zur Schule und mittags wieder zurück, das ist ja wohl genug.“

„Und ich gehe an drei Tagen die Woche für deinen Musikunterricht und die Fahrstunden jobben. Es werden keine vier Tage werden. Die BoB-karte bekommst du nicht, und wenn du doch Straßenbahn fährst, zahlst du es selbst.“

Wenn meine Mutter die Worte so emotionslos vortrug, dann war eine der seltenen Grenzen erreicht, an denen Diskussion zwecklos war. War ja klar, dass das ausgerechnet an dem Tag der Fall sein musste, an dem mein schon ergrauter Fahrlehrer vertreten wurde: vom jungen, blonden und vor allem sehr gut aussehenden Fahrlehrer.

 

Ich schepperte die Tür ins Schloss und wuchtete laut fluchend mein Rad aus dem Keller.

Lustlos trat ich in die Pedale und fuhr so langsam, dass meine Haare nur wenig durcheinander flatterten. Als die Ampel auf Grün umschaltete, legte ich allerdings einen Zahn zu.

Den BMW, der abbiegen wollte, registrierte ich durchaus, zuckte aber die Schultern und fuhr stumpf geradeaus weiter, schließlich hatte ich grün.

 

Mit einem einzwängenden Gefühl mich nicht bewegen zu können wachte ich auf und hatte keinen Durchblick. Wo war ich? Und wieso war ich hier, wo auch immer das war? Ich kannte den Raum nicht, kannte das Bett nicht, in dem ich lag. Eine Frau im weißen Kittel hantierte an meiner linken Seite an etwas Fleischfarbenem herum, dass teilweise orange angemalt war. In dem seltsamen Metall-Gestell, das aus den farbigen Stellen zu wachsen schien, verfing sich meinen Blick.

In meinem Kopf begann es schwach zu summen, dann wurde es lauter und ein widerliches dumpf-feuchtes Geruchsgemisch von Desinfektionsmittel und körperlichen Ausdünstungen durchdrang mich gleichzeitig mit aufwallendem, brennendem Schmerz.

Die Erkenntnis, dass das Ding unter dem Orange mein Bein war, brachte mich endgültig zum Würgen.

Meine Mutter registrierte ich erst, als sie mir eine Schale vors Gesicht hielt und meinen Kopf stützte. Ich wollte keinesfalls noch einmal das Teil ansehen, das aus meinem Bein geworden war und starrte in die schleimige Flüssigkeit, die nun in dem Schälchen schwamm. Eklig. Braun-grün.

Grün. Die Erinnerung kam blitzartig. Grün, Auto, Fahrrad und „junges Fräulein.“ Etwas Eiskaltes bildete sich in meinem Bauch. Ich schlug die Hand meiner Mutter mitsamt der Schale weg.

„Raus“, schrie ich. „Ich will dich nicht sehen. Nur deinetwegen liege ich hier.“

 Das Gesicht mit der vor den Mund geschlagenen Hand und die entsetzten Augen meiner Mutter begleiten mich seither. ...

 

 

Ihr Kinderlein kommet

"Na, brauchst du Hilfe?" Renate ließ die Kapuzengestalt nicht aus den Augen, die sich auf dem noch unbeleuchteten Bremer Weihnachtsmarkt an der Tür ihrer Bude zu schaffen machte. Die halbe Portion fuhr herum, wich zurück und riss die schwarz umrandeten Augen auf.
Ein Mädchen. Der Blick der Deern flog zwischen der Straße und dem Rucksack hin und her, den Renate jetzt hochnahm.
"Ich hab gar nichts gemacht!"
"Nö, is klar." Renate trat zur Tür und schloss auf. "Komm mit rin, is wärmer ls hier draußen." Sie stellte den Rucksack und ihre eigene Tasche auf die schmale Arbeitsplatte an der Rückwand und schob beides nach hinten. "Ordentlich kalt, was?"
Das Mädchen blieb, wo es war, kaute auf der Unterlippe und fixierte den Rucksack.

...

Wie es weitergeht und welch überraschendes Ende diese Bekanntschaft nimmt, lest ihr in der Anthologie "Lichter im Advent", ISBN 978-3-89801-406-9